Todestag – Hintergrundgeschichte zum Buch

Im Juni 2013 fuhr ich mit dem ICE die Strecke von Hamburg nach Würzburg.

Todestag

Todestag

Ich saß neben einer Frau, mit der ich nach kurzer Zeit ins Gespräch kam. Wir unterhielten uns über Gott und die Welt. Natürlich kam dann irgendwann auch die Frage nach dem Beruflichen. Sie fragte mich, was ich denn im Berufsleben mache. Ich erzählte ihr, dass ich schreibe, und zwar meist über Tabu Themen. Unser Gespräch wurde danach immer interessanter. Ich erzählte ihr über meine Vergangenheit. Die Frau wirkt ständig verbitterter. Deshalb fragte ich nach, warum dies so sei. Sie erzählt mir eine Geschichte: Ihre Schwester Carolin sei im Alter von 37 Jahren an unheilbarem Knochenkrebs erkrankt und jetzt – drei Jahre später – sei das Endstadium erreicht. Sie habe sich für den Freitod in der Schweiz entschieden. Sie sei verheiratet und habe einen 11jährigen Sohn.
Wir sprachen sehr lange darüber, ich machte mir Gedanken und kam zu dem Entschluss, dass der Tod auch ein Tabu-Thema ist, das man verdrängt und einfach wegschiebt.

Diese Zugfahrt endete viel zu schnell, denn ich hätte mich mit meiner Mitreisenden noch ewig unterhalten können. Tage danach dachte ich immer noch über das Gespräch im Zug nach.
Ich fasste den Entschluss, mich mit dem Thema Tod/Freitod zu beschäftigen.

Mich plagt seitdem die Neugier, hinter die Fassaden der Menschen zu blicken, die bewusst und gezielt in den Tod gehen. Ich nahm deshalb Kontakt zu meiner damaligen Zugbekanntschaft auf und fragte sie über Facebook, ob Sie für mich den Kontakt zu Ihrer Schwester herstellen könne und ein Gespräch mit dieser möglich wäre. Nur wenige Stunden später schrieb mir Carolin direkt via Facebook.
Grundsätzlich, so schrieb sie, sei sie bereit, darüber zu sprechen, insbesondere über Ihre letzten Jahre.
Am folgenden Tag sprach ich das erste Mal am Telefon persönlich mit Carolin. Ich war sehr überrascht, wie offen sie sich gab, wie bewusst sie darüber sprach, an einem bestimmten Tag bewusst in den Tod zu gehen.

Ihre Beweggründe sind ganz anders, als ich es anfangs dachte. Ich glaubte, dass sie sich die Schmerzen und Qualen ersparen möchte, aber es ist ganz anders. Sie machte mir klar, dass sie diesen Weg gehen möchte, um ihrem 11jährigen Sohn und ihrem Mann den Anblick des Elends – so nannte sie es – zu ersparen.

Sie wollte ihren letzten Schritt in der Schweiz alleine gehen. Ihre beste Freundin lehnte es ab, mit Ihr zu kommen und bei Ihr zu sein, denn sie kann es einfach nicht.

Unüberlegt sagte ich damals zu ihr, dass doch ich mitkommen könne. Sie sagt spontan: „Warum nicht? Besser als alleine zu sterben.“
Mein Vorschlag war unüberlegt und dumm. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich emotional dazu in der Lage bin, beim Sterben eines Menschen dabei zu sein, nicht virtuell, sondern live und real.

Meine erste und sicher nicht letzte schlaflose Nacht folgte, denn mir wurde bewusst, was ich gerade beschlossen hatte. Ein Zurück wäre feige gewesen, denn ich hätte damit den letzten Willen eines todgeweihten Menschen abgelehnt.

So beschloss ich, die letzten Monate von Carolin festzuhalten und das Buch „Todestag“ in den letzten 12 Stunden eines Menschenlebens zu schreiben.
Ich möchte das Schreiben mit dem Exitus beenden und weder ein Pro noch ein Kontra für die aktive Sterbehilfe publizieren, sondern ausschließlich unvoreingenommen berichten. Jeder Leser soll sich nach der Veröffentlichung meines Buches sein eigenes Urteil über dieses Tabu Thema bilden.

So beginnt mein Blog,ich möchte die ersten Ereignisse meines Projektes hier im Tagebuch niederschreiben. Ob ich es schaffe oder das Projekt abbreche, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Wir werden sehen.

Folgt mir zu einem Tabuthema, das uns alle einmal unaufhaltsam treffen wird. Ob reich oder arm, ob gesund oder krank, jeder von uns wird sterben. Wir können den Gedanken an das Sterben zwar verdrängen, aufhalten werden wir es nicht.

Ich starte auf eine ungewisse Reise mit ungewissem Ausgang …

Weitere Infos:

http://blog.tagesanzeiger.ch/hugostamm/blog/2013/10/28/macht-es-sinn-das-leben-mit-allen-mitteln-zu-verlaengern/

http://www.spiegel.de/panorama/belgien-beschliesst-aktive-sterbehilfe-fuer-minderjaehrige-a-952817.html

Projekt Ende

Am Freitag, den 7. Februar um 15.09 ist Caroline in den Tod gegangen. Bewusst, mit erhobenem Haupt und voller Stolz.
Für mich hat sich in dieser Zeit, in der ich Caroline begleiten durfte, sehr viel verändert. Meine Einstellung zum Tod und insbesondere zum Freitod hat klare Strukturen bekommen. Erst jetzt – nach Carolines Tod – habe ich eine eigene, ganz persönliche Meinung zum Thema Freitod.

Es kann nicht sein, dass es todkranken Menschen legal nicht möglich ist, in den geplanten und begleiteten Tod zu gehen. Es kann nicht im Interesse unseres Landes sein, zu erwarten, dass sich diebetroffenen Personen auf die Bahngleise legen und wir die Reste Ihrer Körper von den Plankenkratzen. Vielmehr muss es möglich sein, in Würde zu sterben, nach den eigenen Vorstellungen undWünschen. Auch ist es nicht schwer, zweifelsfrei zu definieren, wem die Möglichkeit zum Sterben auf Rezept gegeben werden sollte.

Meiner Meinung nach darf die Grundlage dafür, dass jemand in den freiwilligen Tod geht, immer nureine nicht heilbare Krankheit sein. Erst wenn drei unabhängige Ärzte dies dem Patienten bestätigen,sollte der Weg für den legitimierten Freitod offen sein.

Natürlich gilt das „Recht“ nicht bei Personen, die in einer Lebenskrise einfach nicht mehr leben wollen.
Hier stehen wir als Gesellschaft in der Verantwortung, um die Betroffenen davon zu überzeugen, wielebenswert das Leben doch ist. Nehmen wir diese Menschen mit und fangen wir sie auf.
Gleichzeitig ermöglichen wir unheilbar kranken Menschen, in Würde und im Beisein ihres gewünschten Umfeldes sterben zu dürfen. Das Recht auf persönliche Selbstbestimmung hat hier nach meiner Auffassung oberste Priorität.

Hier geht mein Projekt Todestag zu Ende. Es war für mich bis jetzt das mit Abstand bewegendsteProjekt überhaupt.
Caroline war eine unendlich starke und selbstbewusste Frau. Anfangs hatte ich sehr viele Vorurteile und Bedenken gegenüber dem Thema Tod.
Der ergreifendste Moment im gesamten Projekt war das letzte Gespräch Carolines mit ihrem Sohn Stefan via Face Cam wenige Minuten vor der Einnahme des Todescocktails.
Nie zuvor zerriss es mein Herz so sehr, nie zuvor verfluchte ich den Gott, an dessen Existenz ich sowieso immer zweifelte. Dieser unglaubliche Schmerz, den Stefan empfand, lässt sich kaum in Worte fassen.
Ich werde niemals den Carolines letzten Atemzug Caroline vergessen, dieses Ausatmen, das so unglaublich in die Tiefe ging. Es ist kaum in Worte zu fassen.

Carolines letzte Minuten (nach dem Eintreten der Bewusstlosigkeit) wurden von mir mit ihrem Einverständnis aufgezeichnet. Diese Filmaufnahmen werde ich zusammen mit meinem Buch “Todestag” an die Adresse des Bundeskanzleramtes senden. Vielleicht wird dann über eineGesetzeslage nachgedacht und es werden die entsprechenden Änderungen vorgenommen, sodass es in Deutschland möglich wird, in Würde auf Rezept zu sterben.

Meine Hochachtung gilt dem Pflegepersonal, den Krankenschwestern, den Ärzten, den Hospizmitarbeitern und all den vielen anderen Menschen, die sich jeden Tag und jede Nacht mit der Materie Tod beschäftigen und so unendlich viele Menschen beim Sterben begleiten und ihnen helfen.

Mein Buch „Todestag“ erscheint zum 15.03.2014 im Buchhandel.

Mein Jahresrückblick 2013

Liebe Leserinnen,
Liebe Leser

Autor Martin Bühler

Autor Martin Bühler

Langsam neigt sich das Jahr 2013 dem Ende zu. Daher kommt nun ein ganz persönlicher Rückblick von mir: Für mich war 2013 eines der bewegendsten Jahre und als Autor zugleich das erfolgreichste Jahr. Es verging wie im Flug, sicher kennt ihr das auch. Manchmal hatte ich das Gefühl, diesem gesamten Termindruck nicht standhalten zu können. Insgesamt gab es in diesem Jahr 32 Interviews und ich stand 60 Stunden vor der Kamera. Die Höhen und Tiefen des medialen Interesses habe ich in vollen Zügen genossen und mitgenommen. 17 Lesungen und drei veröffentlichte Bücher runden das Jahr bei mir ab. Zudem habe ich noch meinen Hauptjob, der mich auch 8 bis 10 Stunden am Tag in Schach hält.

Grenzwertig “ war ein wunderbares Projekt, ich freue mich riesig, dass ich es noch dieses Jahr veröffentlichen konnte. Natürlich bin ich mit der Veröffentlichung vielen Menschen auf die Füße getreten, aber genau das ist ja meine Intension.

Radikaldiät “ war ein Selbstversuch. Das Projekt hat mir unglaublich viele Erfahrungen gebracht. Ich hab mein selbst gesetztes Ziel geschafft, 50 kg Körpergewicht sind weg.
Doch im Nachhinein gesehen habe ich in diesem Selbstversuch eine mir bis dato nicht bekannte Energie gefunden. Sicherlich werden es einige meiner Leser als Spiritualität deuten, für mich war es wie eine Droge. Je mehr ich fastete, um so besser fühlte ich mich.
Das Buch „Radikaldiät“ wird in Kürze erschienen, fertig geschrieben ist es schon.

Todestag ist mein bis jetzt mein emotionalstes und bewegendstes Thema. Kein anderes Thema, kein Buch, keine Publikation hat mich jemals mehr bewegt als Carolines Geschichte.
Der Tag, an dem Caroline mit mir an ihrer Seite in den gewollten Freitod geht, rückt immer näher. Meine Fragen mehren sich und auch meine Angst steigt stetig von Tag zu Tag. Carolines Todestag wird von mir vorab bekannt gegeben, denn mittlerweile ist auch die “Schmuddelpresse” auf meine Berichterstattung aufmerksam geworden. Am Todestag werde ich mich via Twitter (läuft dann auch über meinen FB-Account ) melden. Zu meinem Buch und zu Carolines Todestag wird im Frühjahr ein Song eines der namhaftesten deutschen Musiker veröffentlicht. Ich freue mich, dass ich meinen ersten Songtext schreiben durfte. Damit habe ich die Möglichkeit, auch ein Publikum zu erreichen, das sonst nicht zu den typischen Bücherkunden gehört.
Ich habe mir in den letzten Monaten oft die Frage gestellt, ob es legitim ist, wenn ich den Freitod einer 39-Jährigen öffentlich dokumentiere. Diese Frage habe ich nun mit einem klaren “Ja” beantworten können. Ich glaube, unsere Gesellschaft ist so weit, dies zu verkraften. Meine Intention ist natürlich, auf den Missstand aufmerksam zu machen.
Nach Carolines Tod werde ich mich für einige Wochen aus Deutschland zurückziehen und Kraft tanken.
Zum aktuellen Blog gelangt ihr hier: Todestag.wordpress.com

Ganz herzlich möchte ich mich bei allen meinen Lesern bedanken, ohne deren Interesse an meinen Publikationen vieles nicht veröffentlicht worden wäre. DANKE!

Danken möchte ich meiner Webdesignerin Mona Eckerich, die einfach perfekt ist.
Sie beherrscht die Kunst, meine Gedanken zu lesen und grafisch umzusetzen.
Das Resultat seht ihr hier!

Danken möchte ich meinem Verlag, insbesondere Herrn Wolf-Dieter Roth.
Oft waren oder sind wir nicht einer Meinung. Ich bin und werde nie jemand sein, der in ein Schema passt. Ich bin mein eigenes Schema. Danke für Deine Geduld, Wolf-Dieter.

Herzlichen Dank an Christian Balcaen von Dreamtime Books, der meine verlagsfreien Publikationen veröffentlicht. Es macht riesigen Spaß, mit Dir zu arbeiten.

Danke an meine Lektorinnen Frau Dorothea Kenneweg und Frau Dr. Anne Diefenbach.
Sie lektorieren, ohne meinen Stil zu verändern, und holen das Maximum aus meinen Texten heraus.
Verzeiht mir meine unzähligen verschobenen Abgabetermine.

Ein herzliches Dankeschön nach Spanien an meine Cover-Designerin Nina Braun.
Sie gibt meinen Geschichten das passende Bild.

Danke auch nach Hamburg zu Esther Jörgensen, die es als Fotografin immer wieder schafft, Emotionen in Bildern festzuhalten, nicht aus einer Schublade agierend, sondern spontan. Ich erinnere mich immer wieder gerne an unsere Hamburger Foto-Session.

Auch in die Schweiz zu Frank Weber ein Dankeschön. Er ist der Mann, der sich um SEO und Co. bei mir kümmert. Für mich sind dies Fremdwörter, von denen ich nichts verstehe und nichts verstehen möchte. Aber eine Website, die nicht gefunden wird, bewegt auch nichts. Frank, danke für deinen Einsatz.

Danken möchte ich natürlich den Freunden und Bekannten, die immer für mich da sind. Ihr seid wie ein Sicherheitsnetz für mich. Prügelt die Welt auf mich ein, ihr haltet zu mir. Schieße ich über das Ziel hinaus, holt ihr mich wieder auf den Boden der Tatsachen.

Ich werde mich nun (abgesehen von gelegentlichen FB-Posts ) verabschieden.
Nun muss ich für mein Projekt Todestag Kraft sammeln. In wenigen Tagen werde ich die Kraft benötigen. Am 10.01.2014 bin ich als Studiogast in einer Talkrunde der Öffentlich-Rechtlichen. Dann werde ich Euch informieren, kurz bevor ich ins Studio gehe, vielleicht habt Ihr dann Lust, die Diskussion mitzuverfolgen.

Ich wünsche Euch schöne und erholsame Feiertage. Lebt das Leben in voller Intensität, jeder Tag könnte der letzte sein. Denkt immer daran.
Das Leben schreibt die interessantesten Geschichten.

Alles Liebe

Martin Bühler